Lehren über geschlechtsspezifische Rollenbilder, eingewachsene Zehnägel und Kinder mit schwerem Gepäck im Leben lest ihr in seinem Bericht:
„Als freiwilliger Feuerwehrmann ist mir das Geschehen rund um Einsätze nicht fremd. Dennoch hatte ich großen Respekt vor dem Praktikum im Rettungsdienst, sind die Einsätze doch viel strammer getaktet, die Einsatzlagen häufiger lebensbedrohlich.
Mit dem Schichtwechsel um 08:00 Uhr am Dienstagmorgen wurde ich von meinen „Kolleginnen für einen Tag“ Runa Sender (Mitte) und Daniela Burgemeister (links) freundlich begrüßt und direkt eingekleidet. Optisch habe ich mich nicht mehr von den beiden Profis unterschieden. Ich nutzte die Zeit, um mich mit den beiden Notärzten zu unterhalten, die ebenfalls Schichtwechsel hatten, ihre Einsätze dann aber von zuhause aus anfahren. Daraufhin wurde dann der Rettungswagen (RTW), auf dem ich die Schicht verbringen sollte, kontrolliert und Bestand von Medikamenten und Sanitätsmaterialien aufgefüllt. Anschließend ging es dann „in Bereitschaft“ rüber zum EDEKA, um Verpflegung für die anstehenden 24 Stunden zu kaufen. Wieder angekommen wurden wir zum ersten Einsatz alarmiert und so ging es zum Einsatzort – ich nahm bei den ersten Einsätzen übrigens hinten, später dann vorne im Rettungswagen Platz. Aufgrund des Datenschutzes und aus Pietätsgründen werde ich in diesem Bericht nur vage Angaben zu den Einsätzen machen. Darum nur so viel: Es handelte sich um einen Einsatz mit einem Kleinkind, welches auf seinem bisherigen Lebensweg nicht gesegnet war. Sofort war klar, dass es in einer Klinik betreut werden und eventuell später sogar mit dem Hubschrauber nach Hamburg geflogen werden muss. Das Kind wurde von uns über ein digitales Notaufnahmeportal in der Kinderklinik des Krankenhauses Bremerhaven Reinkenheide (KBR) angemeldet und mithilfe einer speziellen Kindervorrichtung auf der Liege des RTW transportiert. Anschließend wird der RTW desinfiziert und wieder einsatzbereit gemacht – eine Aufgabe, bei der ich nach und nach immer besser mithelfen konnte.
Für mich war der erste Einsatz gleich der, der am nachhaltigsten in mir verankert bleiben sollte. Schwer kranke, weinende Kinder und die Sorge ihrer Angehörigen lassen einen so schnell nicht los. Zum Beruf der Rettungs- und Notfallsanitäter gehört es daher auch, diese (und noch viel schlimmere) Einsätze verarbeiten zu können und sie nicht mit in das Privatleben zu lassen.
Der Tag verlief ab Mittag zunächst sehr ruhig, sodass auf der Wache gemeinsam gegessen, geschnackt und Kniffel gespielt werden konnte. Für mich eine gute Gelegenheit, um sich über die Arbeit und die Herausforderungen des Rettungsdienstes auszutauschen – und auch über die immer wieder auftauchenden Hilferufe, die keine echten Notfälle sind. Ein Beispiel dafür sollte noch folgen. Erst mal habe ich aber mein Bett in dem kleinen Zimmer, welches den Nachtschicht-Mitarbeiter zur Verfügung gestellt wird, bezogen. Die Ruhe des Nachmittags war trügerisch…
Mit dem Gong zur Tagesschau ging es ohne Sonderrechte (Blaulicht und Martinshorn) in ein Pflegeheim. Ein Bewohner klagte seit Wochen über einen eingewachsenen Zehnagel, das verschriebene Antibiotikum schlug nicht an. Eigentlich nichts, was nicht auch am kommenden Morgen in einer Praxis geklärt werden könnte. Zur Sicherheit haben wir den Herrn dann trotzdem mitgenommen und in das Klinikum „Am Bürgerpark“ gebracht.
Anschließend wurde kurz das Abendessen gekocht, bevor der Melder piepte: Eine Frau mit entsprechender Vorerkrankung hatte starke Schmerzen im Bauchraum. Angekommen verschafften sich meine „Chefinnen“ zunächst einen Überblick. Mein Job war es, die medizinischen Geräte in das Wohnzimmer zu tragen. Anschließend durfte ich die Trage aus dem Wagen holen, mit der die Patientin in den RTW gebracht wurde. Die Frau wurde hier versorgt und dank Morphium konnten zumindest die Schmerzen schnell gelindert werden. Auf dem Weg ins Krankenhaus hatte ich das Gefühl, dass ihr ein Gespräch gut täte, also plauderten wir ein wenig.
Der nächste Einsatz folgte mit Eintreffen auf der Wache. Eine Familie hatte offenbar verdorbene Lebensmittel gegessen. Drei Kinder klagten über Bauchschmerzen und haben sich übergeben. Da es Ihnen ansonsten den Umständen entsprechend gut ging, wäre auch eine eigenständige Fahrt in die Klinik möglich gewesen. Es fehlte jedoch das Auto. So waren gleich zwei Rettungswagen darin eingebunden, die Kinder in die Kinderklinik des KBR zu fahren.
Gegen 1:00 Uhr trafen wir auf der Wache ein. Nach kurzer Absprache gingen wir auf unsere Zimmer. Für mich ein komisches Gefühl. Ich sortierte noch einmal meine Klamotten, um im Einsatzfall schnell bereit zu sein – keinesfalls sollte es meinetwegen zu Verzögerungen kommen. Vorm Einschlafen kapitulierte ich noch einmal den Tag und dachte zwangsläufig an das kleine Kind vom Morgen, wie ist wohl sein Tag verlaufen…
Kurz nach 3:00 Uhr war es mit dem Schlaf vorbei. R02 stand auf dem Melder, der Hinweis für einen ernst zu nehmenden medizinischen Notfall, zu dem immer auch ein Notarzt alarmiert wird. Ich stand senkrecht im Bett, brauchte aber einige Sekunden, um mich zu koordinieren. Scheinbar war ich voll im Tiefschlaf. Rein in Shirt und Hose, hoch zum Eingang und ab in die Stiefel, rüber in die Fahrzeughalle und direkt mit Blaulicht in die Nacht. Schon auf Anfahrt haben wir FFP2-Masken vorbereitet – nicht zu unserem Schutz, sondern zu dem der Patientin.
Angekommen am Einsatzort trafen wir auf eine Frau, die bereits ein eigenes Gerät zur Zufuhr von Sauerstoff besaß. Dennoch war die Sauerstoffsättigung im Blut zu gering und die Dame konnte kaum mit uns sprechen. Vor Ort wurde sie versorgt, Sanitäterinnen und Notärztin arbeiteten Hand in Hand und verstanden sich scheinbar blind. Als unsere Patientin einigermaßen stabil war, ging es in die Klinik.
Wieder auf der Wache – es war kurz vor 5:00 Uhr – konnte ich dieses Mal nicht mehr so gut einschlafen. Zuviel Adrenalin im Blut vermute ich… bis 7:00 Uhr war ich daher eher im Halbschlaf, den nächsten Einsatz um kurz vor 8:00 Uhr hat dann schon die nächste Schicht übernommen.
Was für mich bleibt, ist ein gutes Gefühl und drei Lehren: Erstens: Während ich als Laie recht aufgeregt war, waren es meine beiden Teammitglieder nicht. Die Patienten haben absolut routinierte Helferinnen erlebt, die Professionalität und Ruhe ausgestrahlt haben. Zweitens: Niemand der Patienten hat mich als Bürgermeister erkannt. Aber als Mann hatte ich das Gefühl, dass Patienten wie Angehörige zunächst mich angeschaut haben und Hilfe erwarteten. Obwohl die Profis die beiden Frauen waren: Runa als Notfallsanitäterin und Daniela als Rettungssanitäterin in Ausbildung zur Notfallsanitäterin. Als Gesellschaft haben wir im Bereich Rettungswesen offenbar noch überholte Rollenbilder. Und drittens: Je größer der Notfall, desto größer auch die Dankbarkeit, die die Menschen für die Hilfe entgegenbringen.
Danke für diese wertvollen Einblicke in ein großartiges Berufsbild! Schön, dass es Euch gibt!“